NOVELLE für die bisherigen wegbeteiligten


Der Zug des rechten Gleises fuhr nun langsamer. So, wie es immer schon war, wenn der Zug etwas weiter an einem Bahnhof halten wollte.

Die Gedanken über die lange Reise wurden jetzt weniger. Irgendwie stand ‚Neu-Orientierung’ an. „Was erwartet mich?“  blitzte es kurz in mir auf.

 

„Dieser eigentümliche Zug ist ein interessantes Konzept. Meine Gedanken gingen zu dem immer noch fahrenden Zug. „Jeder Waggon bietet ergänzende Information zur Stabilisierung meines Lebens-Fundamentes. Mein Geist ist weniger sprunghaft und mein Bewusstsein über die Dinge des Lebens doch sehr erweitert. Was die richtige Reise in die richtige Richtung doch alles zu Wege bringen kann. Die Seminare, Work-Shops und Übungsabende hier im (fahrenden) Zug haben meine Entwicklung sichtbar beschleunigt.“

 

Mein Blick war während der Reise weniger nach aussen, aber mehr und mehr nach OBEN gegangen. Der Zug fuhr die ganze Zeit ständig bergauf in Richtung einer Hochebene im Gebirge. Der Blick aus dem Fenster zeigte mir jetzt, dass dieses erreichte Plateau nur spärlich besiedelt war. Und langsam kam der Sack-Bahnhof in Sichtweite. „Diese erbauliche Reise geht nun mit diesem Zug zu Ende“, dachte ich.

Im Bahnhof schallte mir die Ansage über die Weiterreise entgegen.

„Herzlich Willkommen. Sie haben zwei Möglichkeiten“, so hiess es.

„Im Nachbar-Bahnhof ‚Ewige Weiterentwicklung‘ steht der Zug für die Weiterreise in die Neue, Ewige Welt zur Abfahrt bereit. Falls Sie aber wieder in die alte Welt zurückkehren wollten, so gehen Sie bitte zu Gleis ‚6‘. Bitte vergessen Sie dann Ihr schweres Gepäck nicht!

Wollen Sie als Weiterreisende noch altes Gepäck loswerden, so können Sie es gerne einfach vor einer der Zug-Türen des Zuges abstellen, den Sie gerade verlassen haben. Je weniger Sie mitnehmen, desto leichter der Umstieg. Einen schönen Tag für alle.“

 

Der Zug zur Rückreise auf Gleis ‚6‘ war schmuddelig und alt. Sichtbarer Zerfall.

„Na, zurück möchte ich ja nun gar nicht“, dachte ich.

Der Fussweg zum Nachbar-Bahnhof ‚Ewige Weiterentwicklung‘ war eine seltsame Konstruktion. Auf der linken Seite kamen immer wieder dunkle Nebelschwaden aus der Tiefe des Abgrundes. Der Weg war dort steinig, stolprig und teilweise rutschig. Er war dort aber auch viel breiter als auf der rechten Seite des Weges.

„Da laufen wohl auch sonst viel mehr Menschen“, dachte ich. „Warum sollte ich wieder umkehren wollen?“, ging es mir durch den Kopf.

Auf der Seite rechts am Weg gab es eine Art silbrig-goldenes Seil, das die Richtung vorgab.

Der Weg war hier auch anständig bepflastert. „Das Laufen ist hier eindeutig angenehmer“, ging es mir durch den Kopf.

Zwischen der rechten und der linken Seite des Weges war eine fühlbare, unsichtbare Wand, mit Türen, die zum Seitenwechsel einluden. „Warum gibt es mehr Türen, die nach links öffnen, als nach rechts?“ stellte sich mir die rätselhafte Frage.

 

Dann dachte ich an das Seminar, dem ich während der Zugfahrt bezüglich der Verbindungen auf der Informations-Ebene beigewohnt hatte.

„Damit ist das Tür-Rätsel klar. Das sind Tore, die nach links immer geöffnet sind. Der leichte Widerstand in Richtung rechts ergibt durchaus einen Sinn“, gingen meine Gedanken weiter. Zu meiner Freude bemerkte ich nun, das in der Mitte des Weges im Boden eingelassene Förderband, wie an einem Flughafen. Für Gleichgewichtige eine gute Einrichtung zur Beschleunigung.

 

In einiger Entfernung zeigte sich nun ein sehr hell leuchtender Nebel, der ab und zu den Blick auf die verlockende Umgebung des Zuges bot.

Der Weg zum neuen Zug versetzte mich dann nochmals in Erstaunen. „Wie kann die rechte Spur des geraden Weges viel kürzer sein als die Linke?“

„Die Geometrie ist in höheren Dimensionen eben anders“, hörte ich eine Stimme.

Langsam zeigte sich der Bahnhof des ‚Zuges des Ewigen Lebens‘ immer deutlicher. Vom Zug waren nur die letzten zwei Waggons zu sehen. Der Rest des Zugs lag schon wieder erhöht in einem fast gleissenden Nebel. „D.h. die nächste Fahrt wird dann wohl wieder reichlich bergan gehen“, spekulierte ich.

 

Die Fahrkarte für die Weiterfahrt bestand aus drei Zusagen, die der Reisende dem Schaffner mit dem silbrig-goldenen Hut zu geben hatte:

a) Selbständiges Denken

b) Eigenständiges Handeln

c) Vorausschauendes Interesse.

Gab es keine Zusage des Reisenden, dann war auch keine Weiterfahrt möglich.

 

Die zwei letzten, durchaus schweren Waggons sahen aus, als würden diese leicht schweben.

Eine Projektion des Unmöglichen in der Dreidimensionalität. Signalisierte Leichtigkeit?

 

An der Waggon-Seite zeigte eine Schrift in Gross-Buchstaben: „GOTT GIBT ALLES.“

Diese Botschaft mitten in einer nur in Teilen sichtbaren, beruhigenden, schönen Landschaft verstrahlte Freude und Geborgenheit so, als wollte der Zug schon eine Anleitung geben und dabei selbst auch schon die Umsetzung sein.

Es roch auch angenehm belebend, mit einem bisher nie erlebten Duft. Irgendwie schien der Zug mich auch zu kennen, denn er begrüsste mich nicht nur mit dem Namen, sondern auch gleich in der von mir bevorzugten Anrede. Auch der für mich reservierte Platz schien meine nie geäusserten Vorlieben zu kennen.

 

Kaum Platz genommen, vernahm ich, wie zwei Personen tuschelten:

„Ich bin gespannt, was da noch Gutes kommen wird.“

„Gott sei Dank, weiss das niemand im Vorfeld“, gab die andere Person zurück.

 

„Na dann, auf zu meinem wirklichen Potenzial, das sich mir bisher nur wie beim Blick durch ein Schlüsselloch gezeigt hat,“ kam es freudig in mir auf.

Dann überraschte mich eine nie erlebte, tiefgehende Ruhe, die gleichzeitig Bewegung brachte. „Vorfreude auf Neues und neue Lebensaspekte“, stieg es in mir auf.

 

HUGIN MUNIN am 22.12.2024